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Die kosmologische Naturkonstante 10120

1. Die Grenzen unseres Wissens und der Informationsgehalt des Universums

1 a.

Alfred Gierer entwickelt in seinem Buch "Die Physik, das Leben und die Seele" im Kapitel "Logisches Denken, mögliches Wissen und Grenzen der Entscheidbarkeit" (S. 37-64) seine "finitistische Erkenntnistheorie", die auf einer kosmologischen Naturkonstante mit dem Wert 10120 beruht.

Er gibt das Alter der Welt in "Elementarzeiten" an, deren Größe er aus der Heisenbergschen Unschärferelation für Energie E und Zeit t berechnet:

ΔE · Δt = h

Die Stabilität (Langlebigkeit) von Partikeln wie Proton, Neutron, Elektron erfordert dass ihre Energieunschärfe nicht größer als das Äquivalent E=mc2 ihrer Masse ist, da sie sich sonst in andere Teilchen umwandeln können.

Elementarzeit

Mit dem Proton ergibt sich "in runden Zahlen" 1040 als Alter der Welt in Elementarzeiten. Aus astrophysikalischen Messungen der mittleren Dichte der Materie im Weltall schätzt man die Gesamtzahl der Partikeln im Weltall auf 1080.
Das Produkt dieser beiden Größen ergibt die dimensionslose Zahl
 N = 1040 · 1080 = 10120.

Gierer deutet sie als Obergrenze kosmologisch möglicher Prozesse und als Höchstzahl der innerkosmisch (mit der Physik des Kosmos) realisierbaren Operationen:

Ein Computer, der so groß und so alt wäre wie das ganze Universum, der seit seinem Bestehen ununterbrochen rechnen würde und dessen Bauelemente einzelne langlebige Elementarteilchen wären, könnte bis heute höchstens 10120 Operationen ausgeführt haben - nämlich die Anzahl der elementaren Bausteine (1080) multipliziert mit dem Alter der Welt in Elementarzeiten (1040). Das Alter der Welt geht deshalb in die Abschätzungen ein, weil jedes Bauelement - jedes Elementarteilchen also - nur an höchstens einer Operation pro Elementarzeit beteiligt sein kann; wären es mehr, so wäre die Stabilität des Bauelements in Frage gestellt, der Computer wäre nicht mehr verläßlich. (Gierer, S. 54)

Darauf läßt sich eine “finitistische” Erkenntnistheorie aufbauen. Als erkenntnistheoretische Konsequenz aus der Höchstzahl realisierbarer Operationen im Kosmos ergibt sich, daß auch die Zahl der Schritte bei der Analyse von Problemen prinzipiell begrenzt ist - seien es gedankliche Schritte oder Schritte der Informationsverarbeitung durch Computer. Insbesondere ist die Anzahl der Möglichkeiten grundsätzlich beschränkt, die man einzeln nacheinander prüfen kann, um die allgemeine Gültigkeit einer Aussage zu beweisen oder zu widerlegen. (Gierer, S. 55).

Dieses Wissen um die Grenzen objektiven Wissens, die sich besonders beim Problem des Bewußtseins zeigen, kann auch als eine Aufforderung zu einer kreativen Sinngebung des Lebens verstanden werden. (Alfred Gierer, Klappentext).



1 b.

Eine Zahl der Größenordnung 10120 ergibt sich auch auf einem anderen Wege, nämlich als Zahl der >Uralternativen< in einer axiomatischen Begründung der Quantentheorie durch C. F. von Weizsäcker in: Die Einheit der Natur. (Gierer, S. 301)

"Elementarteilchen" müssen aus letzten Objekten aufgebaut sein. ... Die Raumkrümmung bedeutet eine Quantelung des Impulses. Das einzelne Urobjekt entspricht einem Teilchen mit minimalem Impuls; es ist also im Weltraum nicht lokalisiert. Nehmen wir einen Weltradius von R=1040 nuklearen Längeneinheiten an, so müßte ein Teilchen von nuklearem Impuls oder ein Teilchen, das in einem Kern lokalisiert werden kann, aus etwa 1040 Urobjekten bestehen. Die Gesamtzahl der Urobjekte im Universum könnte man versuchsweise gleichsetzen mit der Anzahl von bits von Information, die im Unniversum möglich sind. Nehmen wir einfachheitshalber nur eine einzige Sorte von Elementarteilchen an, z.B. ein Nukleon mit Fermi-Statistik, so können wir schätzen, es gebe im Weltraum soviele bits wie es in ihm Zellen von nuklearer Größe gibt, deren jede besetzt oder leer sein kann. Diese Anzahl ist N = R3 = 10120. ... Wenn ein Nukleon aus R Urobjekten besteht, dann müßte es R2 = 1080 Nukleonen in der Welt geben. Ich wage nicht, die gute Übereinstimmung dieser Zahl1 als Bestätigung einer Hypothese zu nehmen, die nicht hinreichend ausgearbeitet ist.
a
Anmerkung 1: 1080 Nukleonen in 10120 Elementarzellen bedeutet im Mittel 10-40 Nukleonen pro Elementarzelle, d. h. 10-1 Nukleonen pro cm 3,was ganz roh der kosmischen Materiedichte entspricht.

(von Weizsäcker, S. 271-172)


Meine Erläuterung hierzu:

weizsaecker

Δp · Δx = h
In nuklearen Einheiten (h=1) ist die Impulsunschärfe eines Urobjektsmit der Ortsunschärfe Δx=R
Δp = 1/R = 10-40
Lokalisierung eines Elementarteilchens (Impuls P=n·p) im Kern (Δx=1 LE, ΔP=n·Δp)
ΔP · 1 = 1
erfordert n=1040 Urobjekte pro Elementarteilchen.
Das Volumen V des Universums  beträgt rund V = R3 = (1040)3 = 10120 nukleare Volumeneinheiten.

Siehe auch:
Neuere Überlegung zur Physik Schwarzer Löcher, basierend auf Gravitation, Thermodaynamik und Quantentheorie stellen einen Zusammenhang her zwischen der Größe ihrer Oberfläche (gemessen in Quadrat-Plancklängen) und ihrer Entropie (Bekenstein).

black hole entropy
Bildquelle:scholarpedia

Eine elementare Herleitung findet man in L. Susskind: Der Krieg um das Schwarze Loch, Seite 178-180, mit dem Ergebnis (S. 181-182):

Die Entropie eines Schwarzen Lochs, gemessen in Bits, ist proportional zur Fläche seines Horizonts, gemessen in Planck-Einheiten.
Oder knapper:
Information gleich Fläche.

Formal lässt sich das gesamte Universum als Schwarzes Loch auffassen, da sein Radius von gleicher Größenordnung wie der Schwarzschild-Radius eines Schwarzen Lochs mit der Gesamtmasse des Universums ist (siehe Tabelle Zeilen 4 und 10).

Eine Zahl in der Größenordnung 10120 ergibt sich ebenfalls, wenn man die Oberfläche des Universums (bzw. der Kugel mit seinem Schwarzschild-Radius) in Einheiten der Planck-Fläche misst (Tabelle Zeile 14):

oberflaeche



3.


Eine Abschätung der physikalischen Größe "Wirkung", des Produkts aus Energie und Zeit, für das gesamte Universum (Zeile 8) führt ebenfalls auf etwa 10120, wenn man sie in Einheiten des Planckschen Wirkungsquantums h misst (Zeile 10):


Wirkung Planck



4.

Die reziproke Dichte des Universums (gemessen in Planck-Volumina und Planck-Massen) hat ebenfalls einen Wert in der Größenordnung (Zeile 10):
10120

Planck Dichte



Web Links

 

Alfred Gierer: Die Physik, das Leben und die Seele, Pieper, München 1985 (PDF, Volltext)

Alfred Gierer: Die gedachte Natur. Ursprung, Geschichte, Sinn und Grenzen der Naturwissenschaft, Piper, München 1991 (PDF, Volltext)

Bruno Gauger: Gierer, Alfred: Die gedachte Natur. Ursprung, Geschichte, Sinn und Grenzen der Naturwissenschaft, Rezension (Spektrum der Wissenschaft 6 / 1993, Seite 119)

Alfred Gierer: Im Spiegel der Natur erkennen wir uns selbst. Wissenschaft und Menschenbild. (PDF, Volltext)

K. Ott: Gierer, Alfred: Im Spiegel der Natur erkennen wir uns selbst.Wissenschaft und Menschenbild.(Rezension, Spektrum der Wissenschaft, 11 / 1999

C. F. von Weizsäcker: Die Einheit der Natur. Studien von Carl Friedrich von Weizsäcker, Hanser, München, 3. Aufl. 1972.

Bekenstein-Hawking entropy (Scholarpedia)

Leonard Susskind: Der Krieg um das Schwarze Loch: Wie ich mit Stephen Hawking um die Rettung der Quantenmechanik rang, Suhrkamp, Berlin 2010.

Holger Lyre: C. F. von Weizsäcker’s Reconstruction of Physics: Yesterday, Today, Tomorrow

John D. Barrow: The Constants of Nature. The Numbers that Encode the Deepest Secrets of the Universe, Vintage, New York 2004.

J. D. Barrow, D. J. Shaw: The Value of the Cosmological Constant, 2011.

Kosmologische Konstante (Wikipedia)

Cosmological parameters from SDSS and WMAP

Hans Krause: Kosmologische Konstante

Thomas Görnitz: New Look at the Large Numbers (PDF)


Jürgen Giesen
7. 10. 2016